Nils Gründer

Posttraumatische Belastungsstörungen in der Bundeswehr

Einsatzschäden in der Bundeswehr

Das Risiko von physischen oder psychischen Einsatzfolgeschäden ist ein unumgänglicher Bestandteil des Berufslebens von Soldatinnen und Soldaten. Dementsprechend sind (1) die Behandlung von (2), der Umgang mit und (3) die Rehabilitation nach Einsatzfolgeschäden drei der größten Herausforderungen der Bundeswehr. Die einsatzbedingten psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Angststörungen, Depressionen, Agoraphobie oder Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) stellen in vielerlei Hinsicht zusätzliche Hürden dar. Die genannten Erkrankungen treten oft zeitverzögert auf, sie sind nicht unbedingt visuell erkennbar und die Historie ihrer Anerkennung wesentlich kürzer.

Dieses Papier geht konkret auf die Probleme und Lösungsansätze im Umgang mit PTBS in der Bundeswehr ein. Die Bundeswehr wurde seit Beginn der Auslandseinsätze in der Balkanregion, in Afghanistan und Mali zunehmend mit dem Thema PTBS konfrontiert. Zu Beginn waren (1) die Anerkennung von, (2) das Bewusstsein für und (3) die Versorgung von PTBS-Betroffenen mangelhaft. Anpassungen im Soldatenversorgungsgesetz, das Einsatzversorgungsgesetz, das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz und das Soldatenentschädigungsgesetz für 2025 stellen wichtige Fortschritte dar, die die Versorgung von Betroffenen wesentlich verbessert haben und werden.

Dennoch besteht weiterhin Handlungsbedarf in mehreren Bereichen. Im Jahr 2022 wurden 305 einsatzbedingte psychische Neuerkrankungen in der Bundeswehr diagnostiziert. Davon waren rund 65% (197) PTBS-Fälle. Jährlich kommen rund 200 Neudiagnosen dazu. Die Zeit zwischen Verletzung und Diagnose beträgt bei PTBS im Durchschnitt mehrere Jahre, sodass wir auch in den nächsten Dekaden mit konstanten Zahlen im Bereich Neudiagnose, Behandlung und Rehabilitation rechnen müssen. Diese Zahlen sind auch zu erwarten, sollte das Engagement der Bundeswehr in Auslandseinsätzen in kommenden Jahren gering sein. Wir müssen unsere Gesetze überarbeiten, so dass sie die ständig fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu PTBS berücksichtigen. Gleichzeitig müssen wir Behördenabläufe konzentrieren und die Anerkennung in Bundeswehr und Gesellschaft stärken, um Behandlung und Rehabilitation weiter zu verbessern.

Diese Anpassungen sind notwendig, da die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten ein Aushängeschild der Bundeswehr ist. Sie trägt somit zur Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeberin bei. Die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeberin ist ein Kernelement der Zeitenwende, da sie ein Grundstein einer einsatzbereiten und zukunftsfähigen Truppe ist. Als Freie Demokraten wollen wir die Unterstützung der Betroffenen durch folgende Maßnahmen weiterentwickeln.

1. Schutzzeit
Die fünfjährige Schutzzeit für Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes festgelegt wurde, sowie die Möglichkeit der dreijährigen Verlängerung war ein wichtiger Meilenstein für die Versorgung. Das Gesetz bietet Schutz, um die medizinische Behandlung und eine berufliche Qualifizierung durchzuführen. Es ist wichtig, dass hierbei die besonderen Umstände einer psychischen Einsatzschädigung mitgedacht werden. Konkret soll dafür mindestens jährlich evaluiert werden, ob das initial festgelegte gesundheitliche oder qualifikatorische Ziel nach wie vor erreichbar ist. Betroffene sollen ermutigt werden ihre Ziele an ihre Entwicklung zu koppeln. So kann eine Enttäuschung am Ende der Schutzzeit verhindert werden und die Wahrscheinlichkeit der Reintegration erhöht werden. Eine flexible Einbindung in den Dienst wirkt langfristigen Krankschreibungen entgegen.

2. Anwendungsbereich
Der Ursprung von Einsatzschäden kann laut Gesetzeslage in Verwendungen nach §63c des Soldatenversorgungsgesetzes liegen. In diesem Rahmen wird definiert, dass Einsatzverwendungen und einsatzgleiche Verwendungen außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes stattfinden. Dadurch werden Einsatzbeteiligte in sogenannten Reach-Back-Verfahren ausgeschlossen. Hier geht es beispielsweise um Soldatinnen und Soldaten die Luftbilder aus Einsatzgebieten in Deutschland auswerten. Durch diese Aktivitäten kann ebenfalls eine PTBS oder ein anderer psychischer Einsatzschaden ausgelöst werden. Tendenziell wird der Bedarf an Aufträgen dieser Art steigen, da unbemannte Systeme vermehrt eingesetzt werden. Deshalb muss die Gesetzeslage im Einsatzweiterverwendungsgesetz und Soldatenversorgungsgesetz den Schutzkreis so erweitern, dass Einsatzfolgeschäden aus Reach-Back-Verfahren als solche anerkannt werden.

3. Bewusstsein in der Truppe stärken
Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung ist lange kein Nischenbegriff mehr in der Bundeswehr und es besteht ein grundsätzliches Wissen. Dennoch sind Stigmatisierung und damit verbundene Wissenslücken nach wie vor ein Hindernis für eine optimale PTBS-Versorgung. Damit Hilfsangebote häufiger wahrgenommen werden, sollten die Lehrgänge für Führungspersonal zum Thema psychische Einsatzschäden ausgebaut und weiterentwickelt werden. Zudem sollten Erfahrungsberichte von Betroffenen in themenbezogene Veranstaltungen integriert werden, wie es bei den Invictus Games 2023 der Fall war. So sinkt die Hürde, das Gespräch zu suchen.
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stehen den Herausforderungen einer PTBS jedoch nicht allein gegenüber. Familienmitglieder und Freunde tragen die Last von Einsatzfolgeschäden genauso wie die Soldatinnen und Soldaten. Die Informationen über und der Zugang zu niedrigschwelligen Hilfsangeboten für Angehörige könnte jedoch noch verbessert werden. Ein essenzieller Schritt ist hierbei eine rechtzeitige Informationsmethodik. So sollte beispielsweise die Checkliste des Zentrums Innere Führung zur Vorbereitung auf den Einsatz für den Fall einer Einsatzversehrung auch einen Hinweis auf Informationsmaterial und Unterstützungsmöglichkeiten nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch für deren Angehörigen enthalten. Auch die Vernetzung von Angehörigen untereinander und die Fachberatungsseminare für Angehörige müssen unterstützt werden, um den Nutzen von Erfahrungswerten zu erhöhen.

4. Prävention und Resilienz
Die Behandlung und Prävention von PTBS findet in drei Stufen statt. Prävention beginnt schon vor dem Einsatz durch den Aufbau von psychischer Resilienz. Zudem gibt es Maßnahmen, die direkt nach einem Vorfall durchgeführt werden können, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer PTBS zu verringern. Die dritte Stufe ist die tatsächliche Behandlung einer PTBS nach gestellter Diagnose. Mit dem Konzept der psychischen Bereitschaft und Resilienz geht die Bundeswehr bereits auf dieses Thema ein und informiert über die Effektivität von Sport, Einsatzvorbereitung, Präventivkuren oder dem Erlenen von Verhaltensweisen zur Belastungsreduktion. Allerdings ist es notwendig, dass dafür Zeit geschaffen wird. In Fällen, in denen bereits der wöchentliche Sport in der Zeitplanung untergehen kann, sind weitere Maßnahmen zum Resilienz-Aufbau zeitlich oftmals schwer zu platzieren. Psychische Resilienz ist jedoch einer der besten Wege, das Auftreten einer PTBS zu verhindern und ist im Vergleich zu anschließenden Maßnahmen wesentlich effektiver und besser zu kontrollieren. Teil der Prävention und der Resilienz ist auch ein offener Umgang mit psychischen Einsatzschäden. Der größte Schaden entsteht für Betroffene, wenn sie aufgrund von Scham oder einem Selbstverständnis, das keine Schädigung akzeptiert, keine Hilfe suchen. Jeder Soldat und jede Soldatin kann zu einem Klima beitragen, in dem sich Betroffene früh und ohne Sorge Hilfe suchen, um die Dunkelziffer zu verringern und einen Therapieerfolg wahrscheinlicher zu machen.

5. Prozessoptimierung durch Digitalisierung
Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Verfahren zur Wehrdienstbeschädigungsanerkennung bereits wesentlich gestrafft und es wurden mehrere Ansprechstellen geschaffen, um bei der Prozesskoordination zu unterstützen. Dennoch entstehen oftmals lange Wartezeiten zwischen dem Auftreten von Problemen und der tatsächlichen Anerkennung. Die Möglichkeiten zur Prozessoptimierung sind stark abhängig vom Stand der Digitalisierung in den involvierten Stellen. Das betrifft die Digitalisierung der Arbeitsprozesse im Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr, aber auch in weiteren involvierten Stellen wie der Zentralen Ansprech-, Leit- und Koordinierungsstelle oder dem Einsatzführungskommando. Nur dann kann Betroffenen möglichst schnell und pragmatisch geholfen werden. So formuliert es bereits die ab 2025 vollumfänglich anzuwendende Fassung des Soldatenentschädigungsgesetzes. Zentral ist hierbei, dass die digitale Transformation nicht durch träge Beschaffungsprozesse verzögert wird. So bleiben nicht nur Wartezeiten erspart, sondern Betroffenen wird der Umgang erleichtert und ein mehrfaches Berichten der traumatisierenden Erlebnisse wird verhindert.

6. Personelle Ressourcen
Die Behandlung und Rehabilitation von PTBS-Betroffenen ist ein ressourcenintensiver Prozess. Innerhalb der Truppe tragen insbesondere Truppenpsychologen und Lotsen zum Prozess bei. Allerdings gibt es zu wenige Truppenpsychologen. Hier sollte die personelle Ausstattung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel verbessert werden und die Verfügbarkeit und Nutzung von PTBS-Familienseminaren intensiv unterstützt werden. Die Arbeit der Lotsen ist ein weiteres hilfreiches und niedrigschwelliges Werkzeug, um Betroffenen bei der Orientierung zu helfen. Die meisten Lotsen sind jedoch ehrenamtlich aktiv und gezwungen, ihre Zeit einzuteilen. Ehrenamtlichen Lotsen sollte im Arbeitsalltag mehr Zeit für ihre Aktivitäten eingeräumt werden. Sowohl im Bereich der Lotsen als auch im Bereich der Truppenpsychologen können bereits geringe zusätzliche personelle Ressourcen einen merklichen Effekt haben.

7. Tiergestützte Therapien fördern – Lektionen aus dem Ausland
Nach positiven Erfahrungen mit tierbegleiteter Therapie in den USA erprobt auch die Bundeswehr in eigenen Studien Therapieformen mit Pferden und Hunden, um das Spektrum an Therapieformen zu erweitern. Die ersten relevanten Studien zeigen bereits vielversprechende Zwischenergebnisse. Beide Formen der tierbegleiteten Therapie sollten in der Bundeswehr eingeführt werden und Teil der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung werden, wenn auch zukünftige Ergebnisse die Effektivität der Methodik bestätigen. Zudem sollte eine zentrale Koordinierungsstelle für die tiergestützte Therapie eingerichtet werden, um niedrigschwellig den nächsten militärischen oder zivilen Therapieort identifizieren zu können. Zudem sollten zusätzliche innovative Therapieformen wie zum Beispiel die Nutzung von digitalen Trainingsplattformen weiterentwickelt werden, um beispielsweise auf dem Ansatz des Programms CHARLY aufzubauen.
Auch jenseits der innovativen Therapieformen kann die Bundeswehr vom Umgang mit PTBS in anderen Streitkräften lernen. In Israel werden vermehrt Simulationen genutzt, um die Resilienz der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern. Für Sanitätspersonal hat Israel konkrete Abläufe nach Kampfeinsätzen etabliert, um sofort eine Einschätzung der Betroffenheit zu haben. Zudem ist PTBS grundsätzlich ein internationales Problem. Vergleichende und gemeinsame Studien können Synergieeffekte in Forschung und Behandlung erzeugen.

8. Öffentliche Anerkennung für Einsatzveteranen
Auch die Gesellschaft leistet einen Beitrag zur Rehabilitation von PTBS-betroffenen Soldatinnen und Soldaten. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Damit sind Bürgerinnen und Bürger indirekt an den Entscheidungen für Einsätze der Bundeswehr beteiligt. Deshalb sind Anerkennung und Aufmerksamkeit für Einsatzgeschädigte in der Öffentlichkeit ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation. Hierfür kommen insbesondere offizielle Gedenktage und mehr öffentliche Informationsveranstaltungen in Frage. So haben beispielsweise 2023 erstmals die auch von der FDPBT  unterstützten Invictus Games unter großer und positiver öffentlicher Beachtung in Deutschland stattgefunden. Dieses internationale Turnier versehrter Soldatinnen und Soldaten darf erst der Anfang einer positiven Entwicklung sein.